COLD CASE DES: Tötungsdelikt z. N. von Kumral Bagci (1995)

Der Mord an Kumral Bagci

Wer tötete Kumral Bagci?

Leider habe ich mich diesen Monat mit dem neuen Cold Case des Monats etwas verspätet. Diesen Monat habe ich für den Cold Case des Monats einen niederländischen Cold Case ausgewählt. Wie bereits schon mehrmals erwähnt, wollte ich in diesem Blog nur über deutsche Fälle berichten, aber es gibt manchmal auch Ausnahmen. Und heute mache ich diese Ausnahme. Da ich in diesem Blog schon über viele deutsche Cold Cases berichtet habe, ist es nicht immer leicht für mich einen passenden Fall für dieses monatliche Format zu finden. Aus diesem Grund habe ich mich diese Woche für einen niederländischen Cold Case aus dem Jahr 1995 entschieden. Der Mord ereignete sich in Den Haag, in der Provinz Südholland, Niederlande.

Der Mord an Kumral Bagci ist seit 1995 ungeklärt. Wer tötete Kumral Bagci?
Foto: Unbekannt 

Der Fall Kumral Bagci

Kumral Bagci wurde 1988 als Tochter von Famil [Vater] und Nahide Bagci [Mutter] in den Niederlanden geboren. Kumral hatte noch einen Bruder und drei Schwestern. 
Die Familie gehörte der aserbaidschanischen Gemeinschaft an. Dieses türkischsprachige Volk lebt hauptsächlich im Norden Irans und in Aserbaidschan mit einem kleinen Ableger in der osttürkischen Provinz Igdir, wo auch Famil und Nahide herkamen. Famil und Nahide Bagci kamen 1978 in die Niederlande, um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Die Familie Bagci ließ sich in Den Haag nieder. [Anm. Den Haag ist der Parlaments- und Regierungssitz der Niederlande und des Königreichs der Niederlande sowie die Hauptstadt der Provinz Südholland. Seit 1831 ist die Stadt Residenz des Königshauses, die Hauptstadt der Niederlande ist jedoch de jure Amsterdam. Den Haag hat 562.416 Einwohner.]
Die Familie lebte im Stadtteil Schilderswijk am Hoflandplein [Straße].

Die Familie Bagci ließ sich in der niederländischen Stadt Den Haag in der Provinz Südholland nieder. 
Foto: Google Maps 


Kumral Bagci lebte mit ihrer Familie in Den Haag-Schilderswijk [auch Schildersbuurt]. Haag-Schilderswijk ist ein Viertel im Zentrum von Den Haag und hat 31.500 Einwohner. 
Foto: Google 

Schülerin an der Tweezaamschool in Den Haag 

Famil Bagci hatte sich zunächst mit einer Metzgerei in Den Haag selbstständiggemacht. Im Jahr 1995 betrieb Famil Bagci eine Arbeitsagentur. Die Arbeitsagentur lief sehr gut, es war ein florierender Betrieb. Zu diesem Zeitpunkt besuchte die 7-jährige Kumral Bagci die Tweezaamschool in der Wolmaranstraat in Den Haag. Dort war sie in der dritten Gruppe der ersten Klasse. Die Tweezaamschool war nur zehn Gehminuten von ihrem Zuhause entfernt. [Anm. Die Tweezaamschool gibt es wohl nicht mehr.]

Ein ganz normaler Schultag

Am 21. Juni 1995 um 8.30 Uhr war Kumral Bagci zur Tweezaamschool in der Wolmaranstraat gegangen. Kumral hatte an diesem Tag ihre neuen Rollschuhe mitgebracht und durfte diese ausnahmsweise im Unterricht anbehalten. Ihre Lehrerin hatte es ihr erlaubt. Der Unterricht endete an diesem Tag um 11.30 Uhr. Am Nachmittag fand kein Unterricht statt, deshalb machte Kumral Bagci sich gemeinsam mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester auf den Heimweg.
An der Ecke Boerenstraat/Wesselsstraat stießen sie mit ihrer Tante zusammen. Es gab den Kindern Süßigkeiten, woraufhin Kumrals Schwester nach Hause ging. Kumral wollte noch eine Weile draußen spielen. Von diesem Zeitpunkt an ist vieles unklar.

An der Ecke Boerenstraat/Wesselsstraat trafen Kumral und ihre Schwester auf ihre Tante.
Fori: Google Maps 

Das Verschwinden 

Als Kumral Bagci am Abend nicht nach Hause kam, stellte sich heraus, dass sie spurlos verschwunden ist. Die Familie Bagci war in Panik und suchte nach ihr, aber Kumral blieb verschwunden.

Bei der Polizei als vermisst gemeldet 

Noch am Abend des 21. Juni 1995 meldeten Famil und Nahide Bagci ihre 7-jährige Tochter Kumral offiziell bei der Polizei als vermisst. Die Polizei schätzte die Situation völlig richtig ein und leitete sofort erste Schritte ein.

Die Suche

Die neue Polizei führte umfangreiche Suchmaßnahmen durch. Als das spurlose Verschwinden von Kumral in der Nachbarschaft der Familie Bagci die Runde machte, beteiligten sich hunderte Freiwillige an den Suchmaßnahmen. Zwei Tage und Nächte lang die gesamte Nachbarschaft nach dem Mädchen. Ergebnislos. 

Rollschuhe entdeckt 

Die Rollschuhe von Kumral Bagci wurden jedoch am 22. Juni 1995 im Tenierplantsoen im Schilderswijk in Den Haag gefunden. Kumral hätte es nicht alleine dorthin geschafft. 

Fundort der Rollschuhe im Tenierplantsoen in Schilderswijk in Den Haag.
Foto: Google Maps 

Die Entdeckung 

Am 23. Juni 1995 wurden alle Hoffnungen auf ein gutes Ende zerstört. Am Morgen des 23. Juni 1995 arbeiteten ein Bauunternehmer und sein Sohn in der Adriaan Coenenstraat 35 in Den Haag-Scheveningen. [Anm. 
Scheveningen ist ein Stadtbezirk von Den Haag. Scheveningen ist sechs Kilometer vom Zentrum entfernt. Scheveningen hat sich von einem kleinen Fischerdorf zum größten Seebad der Niederlande entwickelt. Mittlerweile hat der Stadtbezirk etwa 60.000 Einwohner.]
Gegen 10:00 Uhr ging der Bauunternehmer zu seinem Auto zurück, um etwas daraus zu holen. Sein Blick fiel auf drei markante Taschen, die an der Seitenwand des Hauses standen. Es handelte sich um eine schwarze Sporttasche, eine Plastikeinkaufstasche und eine Plastiktüte von Leen Bakker. Der Bauunternehmer konnte nicht widerstehen und beugte sich über eine der Taschen, um zu sehen, was sich darin befand. Er machte eine grausame Entdeckung. In der Tasche sah er den Unterarm eines Mädchens und darunter waren noch weitere acht Körperteile. Schockiert über seinen Fund, verständigte der Mann die Polizei.

Der Bauunternehmer arbeitete am 23. Juni 1995 in der Adriaan Coenenstraat in Scheveningen. Scheveningen ist ein Stadtbezirk von Den Haag. Kumral Bagci wurde zuletzt im Stadtteil Schilderswijk gesehen.
Foto: Google Maps 


Hier in der Adriaan Coenenstraat 35 arbeitete der Bauunternehmer. Hier entdeckte er auch die Leichenteile. 
Foto: Google Maps 


Der Leichenfundort in der Adriaan Coenenstraat 35. An der Hauswand standen die Taschen und Säcke mit den Leichenteilen. 
Foto: Google Maps 

Der Leichenfundort in der Adriaan Coenenstraat 35 in Scheveningen.
Foto: Google Maps 

Polizei erreichte den Leichenfundort 

Schon kurze Zeit später reichten die Ermittler und die Kriminaltechniker den Leichenfundort. Sie nahmen sofort ihre Arbeit auf. Sie schauten sich kurz die Taschen an und stellten fest, dass es sich tatsächlich um die Überreste eines Mädchens handelte. Die Ermittler vermuteten, dass es sich um die Leiche von Kumral Bagci handelte, die seit zwei Tagen als vermisst galt. Der Rechtsmediziner musste ihre Vermutung jedoch noch offiziell bestätigen. Die Taschen und die Säcke, in denen die Körperteile verpackt waren, wurden an das Forensische Labor [später NFI] geschickt. [Anm. NFI = Netherlands Forensic Institute]

Die Autopsie 

Dort konnten die Spezialisten auch eine Identifizierung durchführen. Die sterblichen Überreste konnten der vermissten Kumral Bagci zugeordnet werden. Damit wurde die Vermutung der Ermittler offiziell bestätigt. Zudem mussten die Eltern auch ihre Tochter identifizieren. Der Rechtsmediziner konnte auch die genaue Todesursache feststellen. Die 7-jährige Kumral Bagci war an den Folgen einer Strangulation gestorben. Anschließend wurde sie mit einem scharfen Messer in Stücke geschnitten. Der Todeszeitpunkt wurde schätzungsweise auf den 22. Juni 1995 festgelegt. Das bedeutet, dass Kumral einen Tag nach ihrem Verschwinden getötet wurde.
Obwohl die DNA-Forschung zu diesem Zeitpunkt noch in den Kinderschuhen steckte, konnten einige DNA-Spuren aus den Tüten sichergestellt werden. Bis auf ihren Schuh, ihre Socken und ein Haarband ist ihre Kleidung verschwunden.

Die Ermittlungen 

Die Ermittler nahmen ihre Arbeit im Fall Kumral Bagci auf und führten umfangreiche Ermittlungen durch. Bei den Ermittlungen stießen die Ermittler auf eine Auffälligkeit, denn drei Monate vor der Ermordung der kleinen Kumral Bagci gab es bereits ein Tötungsdelikt in der türkischsprachigen Community bei dem das Opfer ebenfalls in Stücke zerlegt wurde. Das Opfer in diesem Fall war der türkische Restaurantangestellter namens Haydar Aydin, der am Hauptbahnhof in Den Haag arbeitete. Der Mann wurde in Müllsäcken im Wasser im Zuiderpark gefunden. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen entfernten Verwandten von Kumral Bagci 
handelte. Aus diesem Grund dachte man zunächst an eine Art Familienfehde. Könnte es zu einer Blutfehde gekommen sein? Die Ermittler untersuchten, ob zwischen den beiden Morden einen Zusammenhang gab. Sie kamen jedoch zu dem Schluss, dass es dafür keine Anhaltspunkte gebe. Auch die Familie von Kumral Bagci wollte mit dem Blutrache-Szenario nichts zu tun haben. Vater Famil Bagci sagte einer Zeitung, dass es in der aserbaidschanischen Gemeinschaft überhaupt keine Ehrenmorde gegeben habe. Nach Angaben der aserbaidschanischen Gemeinde gab es auch keine enge familiäre Beziehung zwischen Haydar Aydin und der Familie Bagci. 

Medien unterstützten die Polizei

Die niederländischen Ermittler gingen dann auch mit dem Fall Kumral Bagci an die Öffentlichkeit. Die Medien unterstützten die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden in Den Haag. Sie berichteten über den Fall Kumral Bagci und veröffentlichten einen Zeugenaufruf der Polizei.

Die Zeugenaussagen 

Aufgrund der mangelnden Kooperation der türkischsprachigen Community stieß die Polizei auf einige Probleme. Viele Menschen wollten den Mord sn Kumral selbst "aufklären" und waren gegenüber der Polizei nicht besonders gesprächig. Dennoch gingen ein paar Hinweise ein, mit denen die Ermittler arbeiten konnten. 

1. Zeugenaussage "Mädchen/ Haagse Markt"

Ein Cousin von Kumral und mehrere Schulkinder hatten Kumral am Nachmittag des 21. Juni 1995 gegen 16.00 Uhr in Begleitung eines unbekannten Mädchens auf dem Haagse Markt in der Herman Costerstraat gesehen. Laut den Zeugen zufolge trug dieses Mädchen ein schwarzes Kopftuch und hatte einen  auffallend blassen Teint. Sie sah etwas älter als Kumral aus. Das Mädchen soll Kumral zugerufen haben, sie solle kommen, weil ihr Vater nach ihr suchte. 

Am Nachmittag des 21. Juni 1995 wurde Kumral Bagci mit einem unbekannten Mädchen auf dem Haagse Markt gesehen.
Foto: Google Maps 

2. Zeugenaussage "Markt Herman Costerstraat"

Ein Anwohner soll Kumral Bagci gegen 18.30 Uhr auf dem Haagse Markt in der Herman Costerstraat gesehen haben. Nach Angaben des Zeugen war Kumral Bagci zu diesem Zeitpunkt jedoch allein. 

Am Abend wurde Kumral Bagci erneut auf dem Haagse Markt gesehen. Sie war zu diesem Zeitpunkt jedoch allein.
Foto: Google Maps 

3. Zeugenaussage "Hobbemaplein/Frau"

Ein Schulkamerad erzählte dem zuständigen Ermittler, dass er gesehen habe, wie eine Frau Kumral am Hobbemaplein mit erheblicher Gewalt in ein Auto zog. Die Frau hatte blonde Haaren und trug einen markanten Ring. 

Hier soll Kumral Bagci von einer blonden Frau mit einem auffälligen Ring in ein Auto gezogen worden sein.
Foto: Google Maps 

4. Zeugenaussage "Ecke Kempstraat/Wesselsstraat/Frau"

Diese Geschichte des Schulkamerads von Kumral erhielt Unterstützung, als eine Anwohnerin ebenfalls sagte, sie habe etwas in der Art gesehen. Sie berichtete auch von einer blonden Frau mit einem auffälligen Ring, doch in diesem Fall sah die Zeugin die Szene an der Ecke Kempstraat/Wesselsstraat.

Hier soll Kumral Bagci von einer unbekannten Frau in ein Auto gezogen worden sein. Die Frau hatte blonde Haare und trug einen markanten Ring. 
Foto: Google Maps 

5. Zeugenaussage "Mann mit blonden Haaren"

Es war auch die Rede von einem unbekannten weißen Mann mit blonden Haaren, der sich an diesem Nachmittag am Hoflandplein an Kumral Bagci gewandt hatte. Es wurde eine Phantombildzeichnung von dem Mann angefertigt und überall in der Umgebung verteilt,  jedoch lieferte diese Aktion keine Hinweise. Sowohl das unbekannte Mädchen, mit dem Kumral auf dem Haagse Markt gesehen wurde, als auch die blonde Frau und der blonde Mann konnten nie identifiziert und gefunden werden. 

Hier soll der Mann mit Kumral in Kontakt getreten sein. 
Es ist doch erwähnenswert, dass Kumral laut den Zeugenaussagen die ganze Zeit im selben Bereich aufgehalten hat.
Foto: Google Maps 

Aserbaidschanische Community berichtete über Bedrohung 

Einige Mitglieder der aserbaidschanischen Gemeinschaft berichteten einer Zeitung, dass mehrere Personen aus ihrer Gruppe von jemandem in einem schwarzen Mercedes bedroht worden seien. Und sie fügten hinzu, dass auch die 7-jährige Kumral Bagci in der Nähe dieses Autos gesehen worden sei. Sie sagten, dass die Strafverfolgungsbehörden sich ihre Geschichte nicht anhören würden. Die Mitglieder der aserbaidschanischen Gemeinde glaubten, dass die Polizei dieser Sache sowieso nicht nachgehen würde. Es besteht also die Möglichkeit, dass diese Sache mit der Bedrohung nie von der Polizei untersucht wurde.

Polizei ging erneut an die Öffentlichkeit 

Im Juli 1995 ging die Polizei erneut an die Öffentlichkeit. Der Fall Kumral Bagci wurde in der Sendung "Opsporing Requested" vorgestellt. [Anm. Die Sendung Opsporing Requested ist vergleichbar mit der deutschen Sendung Aktenzeichen XY.] Die Menschen wurden gebeten, sich mit neuen Hinweisen und neuen Informationen an die Ermittler in Den Haag zu wenden. Obwohl Dutzende Anrufe eingingen, war der entscheidende Hinweis nicht darunter. 

Die Polizei wandte sich im Juli 1995 erneut an die Öffentlichkeit. Die Polizei hoffte auf neue Hinweise. 
Foto: Unbekannt 

Die Polizei startete Flugblattaktion

Die Polizei Den Haag startete eine Flugblattaktion. 
Tausende Flugblätter wurden in der Nähe des Wohnhauses von Kumral Bagci und später auch auf dem Haagse Markt verteilt. Auch die Stiftung  "Islamische Plattform Haags" suchte nach möglichen Zeugen über die Moscheen. Sie forderten die Menschen auf, ihre Informationen der Polizei mitzuteilen.

Was waren die Ergebnisse der Polizei?

Ende Juli 1995 musste die Polizei feststellen, dass insgesamt nur 35 Hinweise zum Mord an Kumral Bagci eingegangen waren. Aber nur wenige dieser Hinweise kamen von der türkischsprachigen Community. Mit dem Bürgermeister Havermans wurde vereinbart, dass die Polizei und die türkische Gemeinschaft auf gegenseitigem Vertrauen zusammenarbeiten würden. 

Belohnung im Jahr 1995

Die Staatsanwaltschaft in Den Haag hatte damals für Informationen eine Belohnung von 25.000 Gulden ausgelobt, die zur Ergreifung eines Täters oder zur Aufklärung des Falls führen würde. Im Dezember 1995 erhöhte die Familie Bagci die Belohnung auf insgesamt 50.000 Gulden.

Fall wurde allmählich kalt 

Die Ermittlungen zum Mord an Kumral Bagci waren inzwischen festgefahren und wurden allmählich kalt. Es gab einfach keine neuen Ermittlungsansätze. Mangels Hinweisen blieb keine andere Möglichkeit, als die Ermittlungen einzustellen.

Ermittlungen wurden wieder aufgenommen und eingestellt 

Allerdings würden die Ermittlungen im Jahr 1998 erneut aufgenommen und 1999 verhaftete die Polizei unter anderem Kumrals Cousin wegen des Verdachts der Beteiligung an dem Mord. Er wurde jedoch bald wieder freigelassen, als sich herausstellte, dass seine DNA nicht mit der zuvor gefundenen Spur übereinstimmte. Die Ermittlungen wurden daher schnell ein zweites Mal eingestellt.

Fall wurde im Jahr 2003 erneut aufgerollt

Die Ermittlungen wurden im Jahr 2003 wieder aufgenommen. Mittlerweile waren seit der Ermordung von Kumral Bagci acht Jahre vergangen. Am 6. Mai 2003 wurde offiziell bekannt gegeben, dass die Ermittlungen zum Mord an Kumral wieder aufgenommen wurden. Die Ermittlungen wurden vom "Landelijk Team Kindermoord" unter Einsatz modernster Techniken begleitet. [Anm. Das Landelijk Team Kindermoord war eine spezielle Abteilung, die sich ausschließlich mit ungelösten Mordfällen beschäftigte, bei denen die Opfer Kinder waren. Im Jahr 2004 wurde die Abteilung aber komplett aufgelöst und es wurde der neuen Cold Case Einheit der niederländischen Polizei abgelöst, die sich nun mit allen ungelösten Mordfällen beschäftigen.]

Nachbarschaftsermittlungen in Scheveningen und im Schilderswijk eingeleitet 

Eine Woche nach Bekanntgabe der erneuten Ermittlungen erregte der Fall im Fernsehen unter anderem in der Sendung "Opsporing Verzoeken" erneut Aufmerksamkeit. Die Polizei Den Haag hat in Scheveningen und im Schilderswijk in Den Haag umfangreiche Nachbarschaftsermittlungen eingeleitet. Etwa 500 Personen wurden zur Teilnahme aufgerufen. Die Staatsanwaltschaft hoffte vor allem auf Menschen, die sich vor acht Jahren nicht trauten, etwas zu sagen, nun aber etwas loswerden wollten. 

Die Belohnung 
Am 8. Mai 2003 wurde vom Justizministerium zudem für Informationen eine neue Belohnung in Höhe von 20.000 Euro ausgelobt, die zur Ergreifung eines Täters oder zur Aufklärung des Falls führen. Die Familie Bagci erhöhte die Belohnung um weitere 10.000 Euro, so dass sich die gesamte Belohnung auf 30.000 Euro erhöhte.

Die Theorien 

Ich möchte kurz auf die Theorien in dem Fall eingehen, die seit vielen Jahren immer wieder diskutiert werden.

1. Theorie "Cousin Evren T."

Hat Evren T. etwas mit dem Mord an Kumral Bagci zu tun?

Davon waren die Ermittler überzeugt, deshalb wurde der 20-jährige Evren T. am 9. September 2003 wegen Mordes an Kumral Bagci festgenommen. Dies bedeutete, dass der Verdächtige zum Zeitpunkt des Mordes erst 12 Jahre alt war. Im Schilderswijk und im Transvaalwijk in Den Haag wurden verschiedene Hausdurchsuchungen durchgeführt. Es stellte sich heraus, dass Evren T. ein Cousin zweiten Grades von Kumral Bagci war. Er hätte seinen Fingerabdruck abgeben sollen, nachdem er wegen Diebstahls verhaftet wurde. Wenig später stellte sich heraus, dass sein Fingerabdruck mit der Spur auf der Tasche und dem Sack übereinstimmte, in denen das Opfer 1995 gefunden wurde. Er sagte, er habe keine Ahnung, wie sein Fingerabdruck auf der Tasche und der Hosentasche gewesen sein könnte, und bestritt eine Beteiligung an dem Mord. Dennoch galt er als Hauptverdächtiger, obwohl er zum Zeitpunkt des Mordes erst 12 Jahre alt gewesen ist. 

Die Verhaftung 

Seine Verhaftung stieß auf Überraschung und Unglauben. Laut der türkischsprachigen Community zufolge kommt es manchmal vor, dass Minderjährige von ihren Familien zum Mord aufgefordert werden, um die Ehre ihrer Familie zu retten. Eine anonyme Quelle aus der türkischen Gemeinde sagte jedoch, dass ein 12-jähriges Kind niemals dazu aufgefordert werde, ein 7-jähriges Kind zu töten. 

2. Theorie "Tante Hanim S."

Hat Hanim S. etwas mit dem Mord an Kumral Bagci zu tun?

Auch dies war aufgrund der Spurenlage für die Ermittler nicht ausgeschlossen. Sie nahmen deshalb kurz nach der Festnahme des 20-jährigen Cousins ​​[Evren T.] zweiten Grades, auch die 48-jährige Hanim S. fest. Sie ist die Mutter von Evren. Zufälligerweise war dies die Tante, die den beiden Schwestern am Tag von Kumrals Verschwinden Süßigkeiten geschenkt hatte. Ihre Fingerabdrücke wurden auch auf den zurückgelassenen Taschen und Säcken gefunden. Außerdem stellte sich heraus, dass die Türkin 1995 eine Affäre mit Famil Bagci, Kumrals Vater, hatte. Er erzählte den Ermittlern, dass er die Beziehung einen Monat vor dem grausamen Tod seiner Tochter beendet habe, weil seine Frau von der Affäre erfahren habe.

Die Affäre 

Kumrals Vater erzählte den Ermittlern, dass er nach Beendigung der Affäre Angst gehabt habe, dass Hanim ihren Bruder anlügen würde, dass die Beziehung erzwungen worden sei. Er sagte auch, er habe Angst, dass ihr ältester Sohn kommen und ihn töten würde. Kumrals Mutter behauptete, Hanim habe sie kurz vor dem Mord an Kumral auch gefragt, welches ihrer Kinder ihr am liebsten sei. Sie hatte geantwortet, dass es Kumral sei. Nachdem der Haagse Courant [Zeitung] die Akte eingesehen hatte, fiel ihm eine Aussage aus dem Jahr 1999 auf. Darin hieß es, dass ein Bruder und Cousin von Hanim S. kurz nach dem Mord einem Verwandten ein Auto zum Verkauf angeboten habe. Auf der Rückseite des Autos befanden sich Blutflecken. Es waren Aussagen, die  Hanim S. nur noch verdächtiger machten.

Das Verhör 

Hanim S. wurde einem intensiven Verhör durch die Polizei unterzogen. Natürlich glaubt niemand, dass Hanims damals 12-jähriger Sohn seine Nichte zerstückelt hat. Das muss von einem oder mehreren Erwachsenen getan worden sein, aber die Fingerabdrücke dieses Sohnes befanden sich auf der Einkaufstüte, in der Kumrals Leiche auf die Straße gebracht worden war. Grund genug, um sowohl den Sohn als auch seine Mutter Hanim als Verdächtige zu benennen. Der rote Faden bei den Verhören: Sie weiß, was passiert ist und wer es getan hat, aber wenn sie nichts sagen will, wird ihr Sohn dafür bezahlen. Die Beamten waren davon überzeugt, dass die 48-jährige Hanim S. mehr über den Mord an Kumral Bagci wissen musste, deshalb waren sie bereit, mit ziemlicher Härte ein Geständnis von der Frau zu erpressen. Die Vernehmungsbeamten gingen sogar so weit, dass sie die Frau beschimpften und die schrecklichsten Dinge zu ihr sagten. Stinkende Hure, hässliches Monster und Biest waren nur einige der vielen Beleidigungen, die an Hanim S. gerichtet wurden. Dabei blieb sie oft bemerkenswert ruhig und sagte in schlechtem Niederländisch, dass sie von der Sache nichts wisse. 

Es gab aber einen Moment, wo Hanim S. richtig sauer wurde. Die Vernehmer teilten ihr mit, dass die Fingerabdrücke ihres Sohnes auch auf der Tasche und den Säcken gefunden worden seien. In diesem Moment verlor sie die Kontrolle und schlug mit ihren Fäusten heftig gegen die Wand.

Der Suizid

Am 25. September 2003, zwei Tage nach dem letzten Verhör, fand eine Praktikantin Hanim S. tot in ihrer Zelle. Es stellte sich heraus, dass sie sich mit ihrem doppelten Kopftuch das Leben genommen hatte. Dies war eine Tragödie für die Familie.

Die Art und Weise, wie Hanim verhört wurde, ist in der niederländischen Geschichte beispiellos. Das hätte geheim gehalten werden sollen, aber es kam ans Licht. Das hängt damit zusammen, dass Hanim in ihrer Zelle Selbstmord begangen hat. Der Anwalt der Familie fand heraus, dass Hanim S. insgesamt acht Mal auf sehr fragwürdige Weise verhört wurde. Hanims Familie erstattete mit Hilfe des Anwalts Anzeige, doch die Vernehmungsbeamten wurden nicht bestraft, sondern die Sache wurde mit disziplinarischen Maßnahmen geregelt. Keiner der Beamten wurde degradiert oder versetzt.

Bei den Ermittlungen des Landeskriminalamtes stellte sich später heraus, dass Hanim S. bereits 1999 einen Suizidversuch unternommen hatte und sich in psychiatrischer Behandlung befand.

3. Theorie "zwei Onkel von Evren T."

Haben die zwei Onkel von Evren T. etwas mit dem Mord an Kumral Bagci zu tun?

Es kam noch einmal Bewegung in den Fall. Viele hatten das Gefühl, dass die Polizei sich komplett auf Evren T. und seine gesamte Familie eingeschossen hatte.
Während der Hauptverdächtige Evren T. noch in Untersuchungshaft war, nahm die Polizei im Oktober 2003 zwei seiner Onkel fest. Sie wurden ebenso wie Evren T. verdächtigt, an der Ermordung von Kumral Bagci beteiligt gewesen zu sein. 

4. Theorie " Schwester von Evren T. "

Hat dir Schwester von Evren T. etwas mit dem Mord an Kumral Bagci zu tun?

Wie bereits erwähnt, hatte die Polizei die ganze Familie von Evren T. im Visier. Es scheint aber, dass dies aber aufgrund der Spurenlage auch nicht ganz unbegründet war. Im Februar 2004 wurde auch Evrens 23-jährige Schwester als Tatverdächtige festgenommen. Auf den alten Beweisstücken wurde auch ihr Fingerabdruck gefunden.

5. Theorie "Unbekannter Täter"

Wurde Kumral Bagci von einem unbekannten Täter ermordet?

Auch diese Möglichkeit wurde von den Ermittlern in Betracht gezogen. Natürlich könnte es sein, dass der Täter eine Person ist, die noch nicht in den Ermittlungen aufgetaucht ist, aber irgendwie in Verbindung mit der Familie von Evren T. steht, da es schließlich die Fingerabdrücke auf den Tüten und Säcken gibt. 

Ein komplett unbekannter Täter, der Kumral Bagci am Tag ihres Verschwindens angesprochen und entführt hat, kann wohl ausgeschlossen werden, da es ja die Spuren auf den Tüten und Säcken gibt, die den Mitgliedern der Familie von Evren T. zugeordnet wurden.

Fazit:

Der Hauptverdächtige Evren T. wurde nach Angaben des Justizministeriums am 9. Juli 2004 vom Richter von seiner Beteiligung am Mord freigesprochen. Am 29. Juli 2004 wurden auch die anderen drei Verdächtigen freigelassen. Sie wurden nicht strafrechtlich verfolgt, da die Staatsanwaltschaft keine ausreichenden Hinweise gegen sie finden konnte.

Obwohl die Fingerabdrücke von Evren T., Hanim S. und von der Schwester von Evren T. auf den Taschen und Müllsäcken diesen drei Personen zugeordnet werden konnten, wurden alle letztendlich freigesprochen. Und es gilt natürlich die Unschuldsvermutung. 

Wenn das mit den Fingerabdrücken tatsächlich stimmt, dann muss der Täter aus dem Umfeld von der Familie von Evren T. kommen und hat dort Zugriff auf diese Taschen und Säcke gehabt. 

Es könnte auch sein, dass der Täter sich zwar in der türkischsprachigen Community bewegt, aber die Taschen und Säcke auf Umwegen zu ihm gelangt sind, ohne dass er aus dem direkten Umfeld der Familie von Evren T. stammt. Es könnte möglich sein, aber wie realistisch ist das? Es wären zumindest seltsame Zufälle.

Ich finde die Aussage von Kumrals Vater sehr interessant. Er hat den Ermittlern von der Affäre zu Hanim S. berichtet, die kurz vor dem Mord an Kumral beendet war. Er sagte den Ermittlern, dass er Angst vor Hanim S. und ihrer Familie hatte. Er glaubte, dass jemand ihn ermorden könnte. Auch die Mutter von Kumral sagte bei der Polizei aus, dass Hanim S. sie gefragt hätte, welches Kind ihr am liebsten sei und sie geantwortet hatte, dass Kumral ihr liebstes Kind sei. Kurze Zeit später war Kumral tot. Kann das nur ein Zufall sein? Und hat Hanim S. sich möglicherweise nicht nur wegen des harten Verhörs das Leben genommen, sondern weil auf ihr größere Schuld lastete? Ich weiß es nicht.

Ich bin sehr unsicher, wie ich das alles bewerten soll. Deshalb möchte ich mich auf keine der genannten Theorien festlegen. Je länger ich mich mit dem Fall beschäftige, desto mehr Fragen habe ich.
Ich bin mittlerweile sogar schon so weit, dass ich mir die Frage stelle, ob der Polizei bei der Auswertung der Fingerabdrücke vielleicht Fehler unterlaufen sind? Es gibt zumindest keine Erklärung, wie ein völlig unbekannter Täter, ohne eine Verbindung zu der Familie von Hanim S. in Besitz der Taschen und Säcken mit den Fingerabdrücke gelangt ist? Und es dann noch zufälligerweise zwischen der Familie Bagci und der Familie von Hanim S. und Evren T. eine Verbindung gibt. Das sind zuviele Zufälle für mich.
Viele halten die Mitglieder der Familie von Hanim S. und Evren T. weiterhin für verdächtig, weil sie nur freigesprochen worden sind, weil man ihnen den Mord damals nicht nachweisen konnte. Es war ein Freispruch zweiter Klasse. 

Ich hoffe, dass wir irgendwann erfahren werden, wer für den Tod von Kumral Bagci verantwortlich war und warum sie sterben musste.

Die Nachwirkungen 

Trotz vieler Recherchen ist der grausame Mord an der kleinen Kumral Bagci noch immer ungelöst. Kumrals Familie hat nie eine Antwort darauf erhalten, warum ihre 7-jährige Tochter auf solch schreckliche Weise getötet werden musste.
Sie haben Anspruch auf einen Abschluss und auf die Wahrheit. 

Aktuelle Einstufung des Falls 

Der Tod von Kumral Bagci wurde als Mord eingestuft. Der Fall ist mittlerweile ein Cold Case. Der Fall ist zwar aktiv,  aber aktuell wird nicht aktiv in dem Fall ermittelt. Die Ermittler sind auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen, um neue Ermittlungen anzustoßen. Die Ermittler sind sich aber einig, dass es Menschen gibt, die etwas Wichtiges gesehen haben oder über wichtige Hinweise verfügen.

Da in den Niederlanden die Verjährungsfrist für einen Mord 30 Jahre beträgt, verjährt der Fall Kumral Bagci im Jahr 2025. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um den Täter strafrechtlich zu verfolgen. Es ist noch nicht zu spät, um doch noch das Richtige zu tun.

Und ich möchte noch betonen, dass sich niemand  strafbar macht, der jahrelang Informationen zurückhält.

Fragen der Ermittler:
  1. Wer hat Kumral Bagci in den Nachmittagstunden oder Abendstunden des 21. Juni 1995 in Den Haag-Schilderswijk oder Umgebung gesehen? War Kumral Bagci allein oder in Begleitung?
  2. Wer hat Kumral Bagci am 21. Juni 1995 allein oder in Begleitung am Haagse Markt in der Herman Costerstraat in Den Haag-Schilderswijk gesehen?
  3. Wer hat Kumral Bagci am 21. Juni 1995 alleinnoder in Begleitung rund um den Haagse Markt in Den Haag-Schilderswijk wahrgenommen?
  4. Wer hat Kumral Bagci am 21. Juni 1995 am Hobbemaplein in Den Haag-Schilderswijk wahrgenommen?
  5. Wer hat eine blonde Frau mit einem markanten Ring dabei beobachtet, wie sie am Hobbemaplein ein Mädchen [vermutlich Kumral] in ein Auto gezogen hat?
  6. Wer hat eine blonde Frau mit einem markanten Ring dabei beobachtet, wie sie an der Ecke Boerenstraat/Wesselsstraat ein Mädchen [vermutlich Kumral] in ein Auto gezogen hat?
  7. Wer hat Kumral Bagci am 21. Juni 1995 nach 19.00 Uhr noch einmal gesehen?
  8. Wer hat am 21./22. Juni 1995 eine Person dabei beobachtet, die ein paar Rollschuhe am Tenierplantsoen in Schilderswijk entsorgt hat?
  9. Wer hat in der Nacht vom 22. Juni auf den 23. Juni 1995 eine verdächtige Person oder ein verdächtiges Fahrzeug im Bereich der Coenenstraat 35 in Den Haag-Scheveningen wahrgenommen?
  10. Wer weiß, wer für den Tod von Kumral Bagci verantwortlich gewesen sein könnte?
  11. Wer kennt die genauen Umstände und Hintergründe des Mordes an Kumral Bagci?
  12. Wer hat zwischen den Abendstunden des 21. Juni und den Morgenstunden des 23. Juni 1995 andere Beobachtungen gemacht, die in Zusammenhang mit dem Mord an Kumral Bagci stehen könnten?
  13. Wer hat Gerüchte über den Fall gehört?
  14. Wer hat sonstige Informationen zu diesem Fall?

Hinweise an die niederländische Polizei in Den Haag oder an jede andere Polizeidienststelle.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

HANNOVER: Vermisst Inka Köntges (2000)

MIDLUM: Vermisst Anja Beggers (1977)

ULM: Vermisst Daniel Eberhardt